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Tobis Radblog: Wintertraining "Von 0 auf 60" Saison 2017/18, sechste Ausfahrt, 12. November 2017

Baby, It's Cold Outside

Oder auch

Äußere Bedingungen Vs. Innere Einstellung

Den Tag nehmen wie er kommt

Kann man den Elften im Elften feiern und am nächsten Morgen um 9.30 Uhr aufs Rad steigen und 59, 64 oder 75 km auf dem Rad fahren? Ich weiß es nicht, ich bin Niedersachse. Und bei dem, was sich da gerade vor meinem Fenster abzeichnet, brauche ich nicht auch noch einen Kater. Der Katzenjammer ist auch so groß genug. Aber wir wollen uns nicht immer so anstellen. Ich mach das Wintertraining schließlich freiwillig, und ich weiß seit vier Jahren, was das heißt. Nämlich, dass man einen Tag wie heute so nimmt wie er kommt. Und dass man dem, was da kommt, entgegenfährt. Wind, Regen, Armageddon – wie heißt es doch gleich im Niedersachsenlied: Wir sind sturmfest und erdverwachsen, gilt auch im Exil. Und seien wir doch ehrlich, der härteste Weg ist der aus dem Bett, und dann der aus dem Haus.

Rennrad Wintertraining
Der Zwölfte im Elften: Stellenweise Ernüchterung

I really can't stay...

Als ich mein Rad durch die Wohnungstür schiebe, verkriecht sich mein innerer Schweinhund ob der erneuten Niederlage heulend hinters Sofa, allerdings nicht ohne mir noch ein "Baby, it's cold outside!" hinterher zu krächzen. Mag sein, aber was soll ich tun – "I really can't stay…". Auch wenn ich es im Trockenen zum PSK schaffe, so scheint doch klar, was kommt, es wird wahrscheinlich die erste wirkliche Regenausfahrt, so richtig mit Dauerberieselung von oben, unten und vom Hinterrad des Vordermanns. Letzteres ist besonders angenehm, da es sich um ein extrem ausgetüfteltes physikalisches Phänomen handelt – es trifft dich immer voll in die Fresse. Schutzbleche, so merke  ich unterwegs einmal wieder, retten einem nur den eigenen Hintern. Sobald genug Wasser auf der Straße ist, schützen sie den Hintermann nicht mehr. 

Baby you'll freeze out there...

Rennrad Wintertraining
Kälte und Nässe: Dreamteam

Und so eint Cappucchino, Espresso 1 & 2 und Ristretto auf der Fahrt in Richtung Kerpen das gleiche Schicksal: Steter Tropfen höhlt den Stein – Regentropfen um Regentropfen werden einem die Grenzen noch so teurer und qualitativ hochwertiger Funktionskleidung aufgezeigt. Gleichzeitig werden die Nerven jedes Einzelnen offen gelegt. Mit Nässe und Kälte haben sich zwei gefunden, ein echtes Dreamteam, das sich hartnäckig bis penetrant bis auf die Knochen durchfrisst. Und um einen herum ist alles grau, selbst die letzten bunten Blätter an den Bäumen – und auf dem Boden – können an diesem Eindruck nichts ändern.

 

Die größte Herausforderung, das dürfte nach den ersten Kilometern jedem klar sein, sind also die sogenannten äußeren Bedingungen und damit einhergehend die innere Einstellung. Ansonsten bleibt die Aufgabenstellung weiter die gleiche: Saubere Zweierreihe fahren und im GA1 bleiben, die zwei längeren Anstiege im kleinsten Gang. Und Peters pädagogische Intervention von vor einigen Wochen hat Wirkung gezeigt – das Tempo gleicht sich auf den flacheren Abschnitten an, niemand versucht mit einer überdurchschnittlich hohen Trittfrequenz die Geschwindigkeit nach oben zu treiben. 

It's up to your knees out there...

Rennrad Wintertraining
Trockenübung Führungswechsel

Wie jede Woche kommen zu den bekannten Zielen kleine neue dazu. Heute ist es der stetige Führungswechsel. Änderte sich in den letzten Wochen an der Reihenfolge im Feld während der Fahrt eher selten etwas, so kommt heute Dynamik in die Sache rein. Mit hübscher Regelmäßigkeit ziehen die zwei Fahrer an der Spitze der Gruppe nacheinander nach innen (logischerweise erst der linke, weil innere, und dann der rechte) und lassen sich hintereinander neben den anderen an das Ende des Feldes zurückfallen, um sich dann wieder einsortieren. Das ist nur eine gerechte Aufgabe für dieses Wetter, so hat jeder mal das Vergnügen vorne im Wind zu fahren, um beim nächsten Wechsel zu erfahren, dass Windschatten doch mehr bringt als nur das Spritzwasser vom Vordermann abzukriegen.

Für die Espressos und Ristrettos hat Peter noch eine weitere Aufgabe angekündigt. Es ist das von mir innig geliebte kleine Waldstück zwischen Kerpen und Horrem. Oder wie Peter es nennt: ein kleines Paris-Roubaix. Schlechter Asphalt mit Unmengen an Ausbesserungen, Schlaglöchern, Huckeln und jetzt im Herbst natürlich viel Laub, das verhindert, sehen zu können, wohin wo drauf genau man fährt, tricky, slippery, ziemlich gut. Allerdings hat das Straßenbauamt (oder wer immer dafür zuständig ist) Peter und mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Voller Vorfreude fahren wir drauf los, nur um zu sehen, dass der Weg neu asphaltiert wurde. Da konnte man bei dem üblichen Erscheinungsbild von Radwegen in und um Köln nun wirklich nicht mit rechnen. Und andere Wege hätten es nötiger. "Ein Highlight weniger", konstatiert Peter. 

Okay fine, just another drink then...

Nach zwei Stunden hat auch der Regen aufgehört, also doch nur fast die erste wirkliche Regenausfahrt. Man nimmt es nur mit gewisser Verzögerung wahr, da man die Nässe und Kälte (und den Dreck) mittlerweile in sich und seinen Klamotten trägt. Am Himmel in Richtung Köln braut sich jedoch neues zusammen. Ich frage Florian neben mir, ob wir da wohl reinkommen, worauf er nur zurückfragt: "Keine Ahnung, ist doch jetzt aber auch egal, oder?" Stimmt. Kurze Zeit später, auf dem Feldweg nahe Glessen, sieht man die schweren grauen Wolken eindrucksvoll über dem Kölner Dom hängen, jeder hat sich in sein Schicksal gefügt. Man weiß, es geht Richtung Heimat, aber die letzten Kilometer ziehen sich extrem. Die 'äußeren Bedingungen' haben ihren Tribut eingefordert und die innere Einstellung einem brutalen Härtetest unterzogen.

"Eis-Blog" könnte ich diesen Beitrag wohl heute nennen, schlägt Barbara nur halb im Scherz vor. Gespräche und Konzentration haben merklich abgenommen. Lücken reißen auf, werden nur zögerlich oder an der nächsten Ampel zugefahren. Jeder Zwangsstopp auf dem Weg in die Stadt zehrt. Ich habe niemanden etwas Essen gesehen, bei diesem Wetter eine zusätzliche Herausforderung. Ich jedenfalls bin nölig oder 'in der Fettverbrennung'. Als ich nass und etwas durchgefroren nach Hause komme, sitzt der Schweinehund bei Chips und Cola auf dem Sofa, das Gesicht voller Schadenfreude. Meins ist dreckig, aber lächelt zufrieden. Ich frag ihn, worauf ER denn nach diesem Vormittag stolz ist. Kurz darauf hat er das Sofa für mich geräumt und sitzt wieder heulend dahinter.