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Tobis Radblog: Wintertraining "Von 0 auf 60" Saison 2017/18, Berrenrath - Türnich - Nörvenich

Die mentale Geduldsprobe nicht nur vor dem Sprint

Irgendwelche Vorsätze?

Neues Jahr, neue Ziele, viele Vorsätze, viele davon schon Geschichte. Ich hingegen hatte nur diesen einen, den gleichen wie jedes Jahr. Auch wenn er sich blöd anhört: Mehr Radfahren. Die letzten Jahre hat es immer geklappt, deswegen wird aber auch die Luft langsam dünner.

Rennrad Wintertraining
Auf ins neue Jahr

Beim ersten Spinning des Jahres im Fitness-First-Studio in Ehrenfeld, so berichtete mir Peter, konnte jeder schon sehen, was das Training bisher gebracht hat. Zwei Leute, die mal bei der Gruppe reinschnuppern wollten, mussten das Handtuch werfen. Es läuft also bei uns. Das gilt es nun, auf die Straße zu bringen. The Heat is on, auch wenn sich das an einem Sonntagmorgen im Januar nicht unbedingt so anfühlt. Aber das neue Jahr will auch draußen endlich offiziell unter dem 'Von-0-auf-60'-Banner gestartet werden – nach ungewöhnlich langer Pause, aufgrund der Lage der Feiertage – arbeitnehmerfreundlich, aber für das Team die längste Pause, die möglich ist.

 

Die Voraussetzungen haben sich etwas geändert, seit der ersten Tour im Bergischen ist das große Kettenblatt nun freigegeben, das will genutzt sein, zum ersten Mal wird es die sogenannten Ortsschildsprints geben. In absehbarer Entfernung zu einem Ortsschild wird der Guide das Tempo forcieren mit dem Schild als Ende einer imaginären Sprintwertung. Hier geht es nicht darum, Erster zu sein (na gut, vielleicht ein bisschen), sondern zu erfahren, was so ein Sprint ist. Es geht nämlich nicht darum, unkoordiniert Knallgas zu geben, sondern darum, neben den Beinen auch den Kopf zu benutzen. Und all die Dinge, die man beim Kreiseln, den Führungswechseln und dem Kuscheltraining gelernt hat.

Der Ortsschildsprint

Die Ortsschildsprints dienen außerdem dazu, Abwechslung au die Strecke zu bringen. Denn die Herausforderung der Strecke über flaches Terrain und Dörfer wie Berrenrath und Türnich nach Nörvenich ist die Strecke selbst. Sie ist durchaus nett, ich bin sie schon oft gefahren, aber sie ist auch recht monoton. Man tendiert dazu, wenn man alleine unterwegs ist, die Gedanken schweifen zu lassen.

 

Und noch etwas ist anders, Peter und Guide Jürgen K. tauschen die Gruppen. Peter leitet mit Bilgin die schnellen Espressos an, während Jürgen K. die etwas langsameren auf Trapp halten will. Nach einiger Irritation meinerseits – mein Kopf ist Sonntagsmorgens Tempo noch mehr abgeneigt als meine Beine – finde ich mich in Jürgens Gefolgschaft ein. Der ist auch immer mal für eine Überraschung gut, und so findet der erste Ortsschildsprint am ORTSAUSGANG von Berrenrath statt, bei circa fünf Prozent Steigung. War eher spontan, meint er später lächelnd. Ich bin überrascht, wie gut ich ihm folgen kann. Die Form zum Jahresbeginn scheint ganz okay zu sein.

Visite beim Papst

Und so schlängelt sich die Gruppe über das Marienfeld nach Türnich. Nur Ortsschilder will es einfach keine geben. Einer weiteren spontanen Eingebung folgend, verlegt Jürgen den Sprint kurzerhand ortsschildunabhängig an die Ausfahrt vom Marienfeld bis zur Tankstelle an der Abzweigung kurz vor Türnich – eine gute Wahl: Die Strecke ist eben, keine Autoverkehr, guter Asphalt. Der Ausgang ist eher unbefriedigend. Manche haben es nicht mitbekommen oder sind irritiert ob des nicht vorhandenen gelben Schilds, andere geben Vollgas – kaum einer hat ein Konzept. War da nicht was? Einen Sprint gewinnt man zum einen mit den beiden, zum andern mit dem Kopf. Bei den Profis kommen mitunter bei Tempo 70 noch die Ellenbogen dazu. Mancher sieht einen jubelnden Marcel Kittel vor sich (Jürgen), andere einen frustrierten, alles gegeben habenden André Greipel (ich), die ganze Gruppe machte eher den Eindruck eines Team Sky (wir halten uns raus und schützen den Leader). Keiner will Mark Cavendish oder Peter Sagan sein – passiert zum Glück auch nicht, keiner stürzt, keiner wird disqualifiziert. Aber: Der erste Versuch ist eher gescheitert. 

Kopfsache

Woran hat es gelegen? Nicht an den Beinen, es war der Kopf. Die einen traf es zu unvorbereitet, schnell war der Anschluss verloren. Um als erster das nicht vorhandene Ortsschild zu passieren, muss man während Vollgas auch recht klug fahren – Stichwort Kreiseln. Okay, es wird nicht mehr wirklich gekreiselt, aber der Vordermann gibt noch immer Windschatten – und er wird, wenn er selbst im Wind fährt, die Fahrt am Anschlag nicht bis zum Ziel durchhalten. Man darf also keine Lücke aufreißen lassen, muss hinter dem Vordermann bleiben, irgendwann vorbeiziehen, hoffen einen anderen zu finden, an den man sich hängen kann. Dann wieder vorbeiziehen und zusehen, dass man am Ende möglichst weit vorn und auf dem Weg dahin ziemlich wenig im Wind gefahren ist. Das alles innerhalb von Sekunden – das ist der Charme eines Sprints. Zugegeben, der richtige prickelnde Charme kommt erst auf, wenn man das alles von langer Hand vorbereiten kann. Wenn es Teams gibt, die den Sprint koordiniert mit ihren Zügen aufbauen und anfahren, einer nach dem anderen erschöpft mit heraushängender Zunge aus dem Zug ausschert, bis die Leader unter sich sind, um das Hinterrad des vermeintlich stärksten Fahrers kämpfen und dann zum Fotofinish den Lenker über die Linie stoßen, bei besagtem Tempo 70 mit Körperkontakt. Dann Hände vom Lenker und hochreißen und jubeln oder mit der Faust auf den Lenker schlagen. Also Kuscheltraining für sehr weit Fortgeschrittene. 

"Kürzer!"

Es bleibt in unserer Gruppe der einzige Sprint – bald zerrt die Strecke an der Verfassung aller. Der Wind steht abgefahren selten seltsam – Nordostwind, bedeutet bei einer Ausfahrt im Kölner Südwesten: Gegenwind auf dem Weg nach Hause. Der Ruf 'Kürzer' ist jetzt häufiger zu hören, aber auch die Führungswechsel werden häufiger, die Gruppe beginnt miteinander zu fahren, um den Wind und den Heimweg schnell zu bewältigen. Dennoch wird die Fahrt zur Geduldsprobe – es ein hartes Stück Arbeit, das letztlich jedoch alle mit Bravour meistern. "Ich habe nicht genörgelt", wird Stefania später im PSK zu Peter sagen. Keiner hat das, und es wäre absolut okay gewesen, wenn es jemand getan hätte. 'Was einen nicht umbringt, macht einen nur härter' lautet ein Sprichwort. Das klingt etwas martialisch, meint aber das Richtige: Niemand hat aufgesteckt, auch wenn die Nerven drohten durchzukommen, auch das härtet ab und birgt das Rüstzeug für das, was kommt: Das Bergische – Anstiege, Abfahrten, flache Stücke, kurvenreiche Abschnitte, viele Rhythmuswechsel. Die Grundlagen sind gelegt. Und dann klappt das auch mit dem Sprinten… ;-)

 

In diesem Sinne: Wir sehen uns Sonntag am Mediterrana – ich geb zu, ich bin freudig aufgeregt.