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Tobis Radblog: Wintertraining "Von 0 auf 60" Saison 2017/18, Country im Bergischen Land

Sunday Morning Coming Down

On a Sunday morning sidewalk...

Rennrad Wintertraining
"Then I fumbled in my closet through my clothes and found my cleanest dirty shirt" - and I'm wearing it

Irgendjemand sagte mal, wenn Rock'n'Roll Samstagnacht ist, dann ist Country Sonntagmorgen. Ich hatte keinen Rock'n'Roll, aber es fühlt sich trotzdem gerade ziemlich Country an, so Kris-Kristofferson-Sunday-Morning-Coming-Down-mäßig eben. "Wer schläft, sündigt nicht"  heißt ein anderes Sprichwort, also hab ich nicht gesündigt. Ich weiß nicht, wie das bei der Handvoll Leuten ist, die ich treffe, geschlafen haben sie nicht, aber wohl immerhin die letzte Runde erfolgreich hinausgezögert. Für mich ist es die erste Runde am Sonntag, die einzige, denn es ist eine ziemlich große Runde. Der Beginn auf der Zülpicher Straße ist der übliche Slalom um die Glasscherben, die in der Nacht von Samstag auf Sonntag nun mal anfallen. Sonntagmorgen, 8.30 Uhr, die einen kommen nach Hause, andere schlafen bereits ihren Rausch aus, wiederum andere machen sich fertig für das Frühstück, die Kirche, den Besuch von Mama oder was normale Menschen so am Sonntag machen. Vielleicht Angel, aber dazu später mehr. Ich hingegen hatte irgendwann die glorreiche Idee, Rad zu fahren, was mittlerweile fast meinen gesamten Sonntag in Anspruch nimmt. Ist ein bisschen wie zur Arbeit gehen, der Wecker klingelt zur selben Zeit, dauert oft genauso lange, nur andere Klamotten, ich werde nicht dafür bezahlt. Muss wohl Spaß machen.

Die Herausforderung "Berg"

Entsprechend fühlt es sich gut an durch die leergefegten Kölner Straßen in Richtung Bergisches Land zu jagen. Treffpunkt ist wie immer vor den Bergischen Touren der Parkplatz an der Eishalle beim Mediterana-Hotel in Bensberg. Nach den Grundlagenausdauer-Einheiten im eher flachen Kölner Westen, stehen nun vermehrt Höhenmeter auf dem Programm. Jeder, der schon mal auf einem Rad gesessen, ob nun Hollandrad, Mountainbike oder Rennmaschine, weiß, dass man mit dem Rad schönere Sachen machen kann, als ein paar Kilometer am Stück, berghoch zu fahren. Der Reiz daran ist wohl die Herausforderung. Im Allgemeinen enden unsere Touren da, wo sie angefangen haben – das, was man hochfährt, muss man also auch wieder runter, möglichst heile und an einem Stück. Vor der Ausfahrt höre ich jemanden zu Trainer Peter Zaun sagen: "Viele Höhenmeter machen ja nichts aus, so lange es runtergeht", worauf Peter entgegnet: "Nun ja, es gibt allerdings durchaus Leute, bei denen das Problem anders gelagert ist." Die Herausforderung 'Berg' kann vielschichtig sein.

Immerhin von oben trocken

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Wie üblich: Abfahrt 9.30 Uhr in Bensberg

Krankheit hat die Gruppe ein wenige ausgedünnt, trotzdem reicht es für zunächst drei Gruppen, Cappucchino, Espresso 1 und Espresso 2, von der sich später sogar noch die Ristretto-Gruppe abspalten wird, geplant sind je nach Gruppe zwischen ungefähr 66 bis 88 Kilometer, mit bis zu mehr als 1.000 Höhenmetern. Lachhaft im Vergleich zu dem, was Chris Froome seit Beginn des Jahres so auf der Strava-Rennrad-Community rauslässt. Aber bei dem weiß man ja zurzeit nicht so ganz genau, wie und womit er das macht. Für Hobby-Fahrer im Januar ist das, was die Gruppen bewältigen werden, aller Ehren wert.

Das Wetter ist nicht das Beste, aber immerhin von oben trocken. Peter gibt vor dem Losfahren noch einige letzte Warnungen heraus:

Zum einen ist mit den Strecken im Bergischen der Punkt erreicht, wo man nicht mehr kompromisslos auf Fettverbrennung oder gar 'Nüchtern-Fahren' bauen sollte. Und im Zweifelsfalle sollte man lieber auf ein Powergel als auf einen Energieriegel zurückgreifen, wenn man merkt, dass man am Limit ist – bis der Riegel wirkt (ca. 30 Minuten nach Verspeisen, wenn er gut ist) vergehen unschöne Momente – Stichwort Hungerast. Ein Gel geht wesentlich schneller ins Blut, aufgrund der massenhaft enthaltenen kurzen Kohlehydratketten. Ein wertvoller Hinweis an dieser Stelle: Wenn  einen plötzlich Dinge, mit denen man normalerweise gut leben kann, so richtig auf die Nerven gehen – das ist Fettverbrennung. Wenn man sich darüber im Kopf klar wird, es aber irgendwann trotzdem nicht mehr handeln kann, dann sollte man besser was essen.

 

Zum anderen empfiehlt es sich, bei den längeren und steileren Abfahrten Unterlenker zu fahren, und zwar nicht wegen der Aerodynamik, sondern wegen der Sicherheit. Flach auf dem Rad, den Hintern hinten raus und Hände am Unterlenker bedeuten, dass man das Rad wesentlich besser unter Kontrolle hat. Und man rutscht mit den Händen nicht nach vorne ab, kann also nicht "über den Lenker absteigen", was noch wesentlich unschönere Momente zur Folge haben kann als ein Hungerast. 

Mancher hasst das Hochfahren, mancher das Runterfahren

Und so geht es gut vorbereitet mit der Gruppe Espresso 1 auf den Weg, mit sachten, teilweise kaum merklichen Anstiegen Richtung Schildgen und Odenthal, kurz darauf kommt der erste längere richtige Anstieg nach Glöbusch und von dort aus wieder hinab nach Altenberg. Und hier offenbaren sich die ersten der vielschichtigen Probleme, die so ein Berg im Angebot hat. Für den einen sind es die Steigungsprozente, für den anderen kann es der Blick in den Abgrund sein, wenn man einfach nur SIEHT, wo und was man da hochfährt. Für den nächsten ist es die langgezogene Fahrt hinab, auf nassem Asphalt, mit uneinsehbaren Kurven und entgegenkommenden Autos. Oder mangelnde Routine, die einen im Moment noch schwer die ideale Linie in den Kurven finden lassen. Aber dies sind für viele die ersten 'Fahrversuche' im Bergischen Land. Wäre niemand unsicher, wäre das eher bedenklich als die Unsicherheit. Deswegen üben wir das und sprechen auch hinterher kurz drüber. Deswegen werden wir auf den nächsten Touren manche Abfahrten immer wieder in Angriff nehmen – man verinnerlicht die Strecke, kritische Stellen verschwinden aus dem Bewusstsein, verankern sich im Unterbewusstsein, bis man intuitiv runterfährt, während sich mal um mal das Tempo erhöht. In wenigen Worten: Man wird sicherer.

Schreckmoment

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Abfahren: Nicht jedermanns Sache

Weiter geht es über die Wellen von Bechen, die auch Teil der Strecke von 'Rund um Köln' sind und manchem bekanntermaßen mehr Spaß machen als anderen. Schließlich nähern wir uns der Mitte der Strecke und dem kleinen Ort Hachenberg, der im Grunde aus einer einzigen, sehr kurvenreichen, engen und vertrackten Abfahrt besteht. Peter erinnert nochmal dran: Unterlenker, Vorsicht, vorrausschauend fahren, doch bevor es losgeht passiert kurz vor Beginn der Bergab-Passage das Unglück. Ich befinde mich circa hundert Meter vor den anderen, bin bereits auf der Abfahrt, als ich den Knall höre. Wohl beim Umgreifen am Lenker mit gleichzeitigem etwas zu heftigem Ziehen der Vorderradbremse verheddert sich Anja, geht über den Lenker aus dem Sattel und stürzt. Zum Glück ist nicht viel passiert, sie hat eine Prellung im Gesicht und eine Platzwunde am Kopf. Teammitglied Markus, Arzt von Beruf, ist sofort bei ihr und leistet erste Hilfe, während Teammitglied Silta die Unfallstelle absichert. Die Bewohner eines Hauses am Ortseingang erweisen sich als hilfsbereit, rufen zur Sicherheit einen Krankenwagen und lassen die von Markus erstversorgte Anja ins ihr warmes Wohnzimmer, damit sie nicht noch weiter auskühlt. Außerdem stellen sie Anjas Rad bei sich unter, das Peter am Nachmittag abholen wird. Nur Minuten später kommt der Krankenwagen und bringt Anja ins Krankenhaus – an dieser Stelle: Alles Liebe und gute Besserung, Anja!

So ein Zwischenfall geht an keinem im Team spurlos vorbei, denn jeder weiß, dass so etwas jedem jederzeit – aus welchen Gründen auch immer – passieren kann. Die Gespräche frieren ein, und Peter macht das einzig Vernünftige, er beschließt die Strecke zu verkürzen und auf möglichst direktem Weg zurück zu fahren. Es folgt ein langes flaches Stück, das man möglichst schnell zu bewältigen versucht, gesprochen wird kaum. 

Die Herausforderungen bleiben noch eine Weile

Ein Hindernis gilt es jedoch noch zu bewältigen, ein Hügel in Rösrath, unter Radfahrern als 'Big Ben' bekannt, weil er an einer Kirche beginnt und mit bis zu 18 Prozent Steigung sehr steil ist. Zu wissen, dass man diesen Brocken am Ende einer Tour noch zu bewältigen hat, kann einem durchaus Angst machen oder zumindest eine Menge Respekt einflößen – dennoch bewältigen ihn alle vorbildlich. Hut ab, liebes Team. Der Mythos, so Peter, besagt, dass man jeden Berg schaffen kann, wenn man den Big Ben schafft. Mit diesem Wissen und dieser Bestätigung des eigenen Leistungsvermögens, geht die leicht verkürzte Runde (immerhin noch 64 Kilometer und rund 800 Höhenmeter) über die Wellen von Forsbach dem Ende zu. Alles in allem eine gelungene Ausfahrt, wäre Anja nicht gestürzt.

 

Nächsten Sonntag sehen wir uns im Bergischen wieder, die Herausforderungen bleiben, aber so mancher wird ihnen entspannter entgegenblicken. Ich freu mich drauf.