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Tobis Radblog: Wintertraining "Von 0 auf 60" Saison 2017/18 - Auf die Zielgerade

Asphalt-Sparring auf der Flughafenstraße

Vier Tage, 400 Kilometer

Man kann es sich selbst extra schwer machen. Das ist mein Gedanke beim Kaffee am Sonntagmorgen, bevor es mit der Gruppe zur nächsten Rund-um-Köln-Vorbereitung losgeht. Pfingstwochenende – dazu am Freitag frei. Also dachte ich mir: Vier Tage – gutes Wetter – also mindestens 400 Kilometer. Folglich habe ich beim sonntäglichen etwas mehr als 200 Kilometer in den Beinen. Dafür fühle ich mich erstaunlich gut, das ändert sich, als ich nochmal in die Mail von Trainer Peter Zaun schaue. Es ist dieser kurze Satz am Ende, über den ich bisher wohl noch nicht richtig nachgedacht habe: "Am kommenden Sonntag geht es auf eine längere Runde mit wenig Höhenmetern. Geplant sind 74km mit Start um 9:30 Uhr ab dem Mediterana." Die entscheidenden Worte sind "Runde mit wenig Höhenmetern". Warum ins Bergische Land, wenn man keine Höhenmeter macht? Ich befürchte, die Antwort liegt auf dem Asphalt der Flughafenstraße.

Vollgas die Straße runter

Und so ist es. Schon vor der Abfahrt teilt Peter die Gruppe in Dreier-Teams ein, die später die Flughafenstraße entlang sprinten sollen. Das ist eigentlich auch der einzige Trainingsinhalt heute – dreimal die acht bis neun Kilometer lange Straße runter, Vollgas, mit unterschiedlichen Regeln, beim ersten Mal jeder für sich selbst. Man darf schon als Team arbeiten, so Sprinterteammäßig, einen Zug aufbauen, den Leader schützen, damit er dann gewinnt, aber wer ist der Leader? Neben Silke ist der Michael in meinem Team. Dessen Ehrgeiz und Wille, um einen Sieg zu sprinten, ist beinahe genauso unausgewachsen wie meiner. Michael erklärt mich zum Kapitän, ich treffe zwei Entscheidungen: 1. Wir machen mal langsam, 2. Ich bin nicht mehr Kapitän. Obwohl man zugeben muss, dass Michael und ich auf Erfahrungswerte zurückgreifen können. Wir haben beide das Projekt im Jahr 2013 absolviert, sind unser erstes Rund-um-Köln-Rennen zusammen gefahren. Dabei haben wir uns kurz hinter dem Schlossberg wiedergetroffen und haben uns gegenseitig bis ins Ziel gezogen. Ohne den jeweils anderen wären wir sicherlich langsamer gewesen. Kommt heute vielleicht ein Revival? Ich merke, mein Ehrgeiz ist doch nicht bei Null, auch wenn ich das immer wieder behaupte, um zu betonen, wie extrem ausgeglichen ich doch bin…

Und dann erwacht der Ehrgeiz

In geordneter Zweierreihe fährt das Team in den Kreisverkehr zur Flughafenstraße ein. Und dann: Wham Bam, auf geht's, Jungs & Mädels. Das Tempo wird forciert, besonders von denen, deren Ehrgeiz meinen schon von ganz weit weg um Meter überragt. Aber Michael, Silke und ich bleiben dran. Möglicherweise nicht um zu gewinnen, aber gerade läuft's ganz gut und es macht Sch**** viel Spaß. Am Anfang ist alles noch etwas durcheinander, alle in der Gruppe können auf dem ersten Kilometer das Tempo halten, es gibt ein paar Positionskämpfe, irgendwer muss im Wind fahren, aber es hat keiner so richtig Lust. Die Schultern zucken nervös nach vorn, als Zeichen an den Hintermann, fahr mal vor, der zuckt mit den Schultern zurück und signalisiert: keine Ahnung, was Du von mir willst. Der zweite Platz hingegen ist bis zur imaginären Ziellinie ungewohnt beliebt. Michael ergreift schließlich die Initiative und 'fährt das Ding von vorne', abwechselnd mit Domenico und Wolfgang, die ihrerseits in einem Team sind. Nach drei bis vier Kilometern setzt sich eine Gruppe ab und fährt eine schöne Einer-Reihe. Als Lokomotive für unseren kleinen feinen Sprinterzug hat sich ein Triathlet auf seiner Zeitfahrmaschine gefunden. Ich unterstelle ihm jetzt mal, dass ihm das nichts ausmacht, schließlich darf er im Wettkampf ja keinen Windschatten nutzen, und an dieser Stelle sei es dreist und frei heraus gesagt: Viele können es auch nicht.

Im Gegensatz zu uns sechs Hinterradlutschern, durch Peter geschult und vertraut mit dem Umstand, dass mitunter circa zehn bis 20 Zentimeter vor meinem zwei Zentimeter schmalen, über 40 km/h schnellen Vorderrad ein zwei Zentimeter schmales, über 40 km/h schnelles Hinterrad befindet, das man besser nicht berührt. Schnell fahren kann jeder, in einer Gruppe in er simulierten oder echten Rennsituation Schulter an Schulter, Lenker an Lenker, Rad an Rad, ist allerdings nochmal etwas ganz anderes. Schulter an Schulter, beziehungsweise Lenker an Lenker fällt gerade weg wegen Einer-Reihe, und so lutsche ich vergnügt ganz hinten und schau mir das Geschehen vor mir munter an. Bis mein Vordermann offensichtlich das Hinterrad seines Vordermannes nicht mehr halten kann, besser also ich stoß in die Lücke vor, da waren es nur noch fünf und der unschuldige sachgerecht gebrauchte Triathlet, der uns tapfer auf knapp 45 km/h hält. Bis ca 200 Meter vor der imaginären Ziellinie, als die Reihe plötzlich scheinbar wie wild ausschert und um den 'Sieg' sprinten will.

Mächtig großer Spaß

Meine Position ganz hinten zahlt sich aus – aus mehreren Gründen: Die Gruppe ist klein, es sind nur vier Leute vor mir, die leicht im Blick zu behalten sind, ich kann schnell reagieren, wenn es vorne losgeht. Von hinten kann keiner kommen. Ich kann mir das vermeintlich schnellste Hinterrad aussuchen. Und letztlich lassen die Fahrer vor mir innen eine Lücke, die gerade breit genug ist, um auf den letzten Metern an ihnen vorbeiziehen zu können. Möglicherweise erwacht mein Ehrgeiz und Siegeswillen aus jahrelangem Tiefschlaf, vielleicht ist es auch die Tatsache, dass es gerade ein mächtig großer Spaß ist – jedenfalls tu ich es. Michael ländet knapp hinter mir, also irgendwie auch gutes Teamwork. Denn darum geht es bei den nächsten zwei Durchgängen – nicht der erste siegt, sondern die ersten zwei aus einem Team. Es nutzt also nichts auf eigene Rechnung zu fahren, wenn die andern Teammitglieder weit hinter einem ins Ziel kommen. Eigentlich ideale Voraussetzungen für Michael und mich – aber auch Domenico und Wolfgang, und die beiden wollen es im zweiten Durchgang wissen.

Von hinten nach vorn

Hinzu kommt die Tatsache, dass sich viele, die das Tempo im ersten Durchgang nicht mitgehen konnten, nun die Beine freigefahren haben. Die Gruppe, die vorne wegfährt ist wesentlich größer. Auch finden sich leichter Leute, die das Tempo machen: Michael und ich, denn wir hatten ja unseren Moment schon. Es könnte alles schön gemütlich so laufen wie beim ersten Mal, ohne Hektik ohne Stress, wären es nicht so viele Leute, gäbe es nicht Peter, der keinem Team angehört und sich der Aufgabe verschrieben hat, die Gruppe zu sprengen und Unruhe zu stiften, also gezielt im Weg zu sein – während man mit 40 Sachen die Straße langknallt. Ihm macht das offensichtlich großen Spaß. Die Größe der Gruppe verhindert eine Einer-Reihe, in der Mitte und am Ende ist man nun in der Situation, Rad an Rad, Lenker und Schulter an Schulter zu fahren, der ein oder andere auch zwischen Straßenbegrenzungslinie und Grasnarbe. Stress? Spaß! Ich hätt den ganzen Tag weitermachen können, auch wenn die Oberschenkel nach dem dritten Mal so langsam anfingen, unangenehm zu brennen. Jedem, der Rund um Köln mitfährt, sollte nun gewappnet sein und wissen: Nachdem Rennen tun Dir die Beine richtig weh – der Kopf aber noch mehr, denn mit physischem schnell fahren allein ist es nicht getan. Der Kopf muss ebenso schnell sein und über rund zwei Stunden bleiben, denn er muss das koordinieren, was die Beine anstellen und ihnen immer eine Pedalumdrehung voraussein. Und die Frage, ob man im Rennen den vorgeschrieben 25er Schnitt wirklich schafft, sollte geklärt sein. Ja, schafft man. Locker.