Rennradinspektion: die italienische Diva
Kieselsteine und Mückenstiche

Das war also die Toskana: Zehn Touren, 850 Kilometer und 14.000 Höhenmeter. Gefühlt kein flacher Meter, es ging entweder runter oder rauf. Rhythmus finden? Schwierig. Und dann die Straßen in der Toskana: Sie mögen da Kies, groben, weißen Kies, mit Steigungen und Gefällen von bis zu zehn Prozent. Heißer Tanz, wenn man 23-Millimeter-Reifen und steife Felgen mit zur Party gebracht hat.
Das Fahrrad und der Fahrer wurden mitunter also ganz gut durchgeschüttelt. Zum Glück sturzfrei, die einzigen Blessuren, die der Fahrer davontrug, waren von Mücken zerstochene Beine. Lästig, aber im Grunde nicht schlimm. Das Arbeitsgerät, der Quell der Freude, wurde ziemlich beansprucht, denn das Terrain im Chianti-Gebirge ist schon anspruchsvoll. Ich habe selten so viel geschaltet, wohl noch nie so viel gebremst. Die Abfahrten waren rasant und kurvig, man hätte das Rad theoretisch ganz gut laufen lassen können, gäbe es da nicht diese kaum bis gar nicht einsehbaren Kurven und den Gegenverkehr.
Der Mechaniker des Vertrauens

Alles in allem war es nach dem Urlaub also mal Zeit, das Rad durchchecken zu lassen. Und da stand ich vor einer gänzlich unbekannten Herausforderung. Der Fahrradladen meines Vertrauens, der Profishop Kunde, hat seit Anfang Mai geschlossen. Aus und vorbei, das Ende einer Ära. Zum Glück gibt's noch den ehemaligen Besitzer und 'Von0auf60'-Projektleiter Peter Zaun, der nun in seinem Keller eine Werkstatt hat und vielen seiner Kunden mit seiner Kompetenz weiter zur Verfügung steht. Nur hat sich die Anfahrt von zwei Kilometer auf knapp 20 ausgeweitet. Klar könnte ich das Rad irgendwo anders hinbringen, aber eben nur IRGENDWO. Wenn man zu seinem Rad eine gewisse Beziehung aufgebaut hat, dann ist das wie mit Ärzten – man lässt nicht jeden x-beliebigen Pfuscher ran.
Inspektion unter fachmännischer Aufsicht

Hinzu kommt ein anderer Faktor. Peter wird diese Inspektion nicht vollständig selber vornehmen, sondern ich werde vieles unter seiner Anleitung selber machen – für Grobmotoriker wie mich eine echte Herausforderung. Aber wir gehen das alles ganz entspannt an. Ein weiterer Vorteil dieser neuen "Umstände": Man hat Zeit. Nach der unglaublich aufreibenden und extrem anstrengenden Fahrt von knapp 20 Kilometern nach Bergisch-Gladbach serviert mir Peter erst einmal eine eiskalte Cola und bevor es ans Schrauben geht, gibt es ein kleines Schwätzchen. Eine Sache, die Peter sichtlich genießt, kein Zeitdruck, man kann den Kunden kennenlernen, wie er sagt. Gerade, wenn jemand zum ersten Mal kommt. Das ist bei mir jetzt nicht so nötig, er hat mir vor sieben Jahren das Rad so zusammengebaut, wie ich es damals haben wollte und hat auch alle Umbauten vorgenommen, damit es zu dem wurde, was es jetzt ist. Im Grunde wird es dringend für mich Zeit, mein Rad mal genauso gut kennenzulernen. Ich kann drauf fahren, weiß, was es macht, aber warum es das macht, ist eine Frage, die ich bislang vernachlässigt habe.

Nach einer halben Stunde wird es Zeit, das Schatzi kommt auf den Bock und mir wird eine Auswahl an Imbusschlüsseln zur Verfügung gestellt. Und Torqueschlüssel, weil italienischer Antrieb, ich bin ein Campa-Mann. Obwohl ich kein Jünger in einem Glaubenskrieg bin. Mein Crosser hat Sram, mein erstes Rennrad hatte eine Shimano Ultegra. Alles sicherlich nicht schlechter, aber die Campagnolo Chorus ist die schönste. Sie ist so schön laut, gerade mit hohen Carbon-Laufrädern. Ich mag die Daumenschalter – hoch- und runterschalten schön räumlich getrennt. Man merkt, wenn man schaltet, ich liebe es mit ordentlich Kraft hinter dem Mittelfinger vom kleinen auf das große Kettenblatt zu schalten. Das macht für mich Fahrgefühl aus. Ich würde das bei einer EPS, Di2 oder eTap wahrscheinlich vermissen. Die Chorus hat mich vom ersten Moment an überzeugt, wenn sie geschmeidig läuft. Sie kann aber auch eine Diva sein, wenn sie nicht ganz exakt eingestellt ist, und das ist zurzeit der Fall, vier der hinteren elf Gänge benötigen zurzeit eine Sondereinladung beim Runterschalten.
Erstmal die grundsätzlichen Dinge
Aber bevor es ans Schaltung einstellen geht, kommen erstmal die Basics: Sind alle Schrauben, die fest sein müssen, auch wirklich fest? Ich checke jede einzelne Durch: Bremsen, Schalthebel, Lenker, Vorbei, Kurbel, Schaltwerk, Sattel, Sattelstütze, Sattelklemme bis hin zum Getränkehalter.
Dann ist die Diva fällig, sie braucht etwas mehr Spannung. Wir versuchen es zunächst mit der Zug-Stellschraube am Schaltwerk. Zunächst eine Vierteldrehung gegen den Uhrzeigersinn, und gucken, wie es sich entwickelt. Es braucht ziemlich viele Vierteldrehungen, bis sich eine Verbesserung einstellt, doch so richtig klappt es immer noch nicht. Dann ist der Punkt erreicht, an dem das Runterschalten immer noch nicht optimal läuft, das Hochschalten sich aber verschlechtert. Die Möglichkeiten der Stellschraube sind aufgebraucht. Also geht es ans Schaltauge. Möglicherweise ist dieses verbogen.
Endlich begreifen, was man da fährt

Dazu muss das Schaltwerk abgeschraubt werden, das Richtwerkzeug wird eingeschraubt und der Abstand zur Felge gemessen werden. Zunächst oben und unten, vorne und hinten. Dabei stellt sich heraus, dass sich das Schaltwerk vertikal verbogen hat. Das überlasse ich lieber Peters erfahrenen Händen, Schaltaugen sind Sensibelchen. Schließlich ist das Auge gerichtet, aber das Ergebnis ist nicht befriedigend. Es stellt sich heraus, dass auch der Zug nicht optimal arbeitet, er muss gewechselt werden. So kommt es in meiner ersten Inspektion zu einer weiteren Premiere. Ich wechsele erstmals einen Schaltzug. Wurde ehrlich gesagt auch mal Zeit. Nachdem der Zug drin ist, geht das Spiel mit der Stellschraube von neuem los. Und siehe da, die Diva fühlt sich irgendwann geschmeichelt genug und schaltet zackig durch. Mille Grazie.
Ansonsten hat das Rad die Strapazen der Toskana recht gut überstanden. Kein Schlag in den Laufrädern, auch die Bremsbeläge sind noch gut, der Steuersatz ist fest, einzig das Hinterrad hat ein bisschen Lagerspiel, doch auch das ist schnell behoben. Und ich habe einiges über mein Rad gelernt. Ich würde nicht die Verantwortung für jemand anderen übernehmen, würde meine eigenen Räder in Zukunft aber durchaus selber durchchecken. Ob ich das, was nicht funktioniert, beheben könnte, ist eine andere Frage. Aber Nichtfunktionierendes eingrenzen zu können, ist fürs Erste auch ganz schön. Mehr wird folgen.