Tobis Radblog: Wintertraining 2018/19 - dritte Tour

Große Momente gibt es für jeden

Wintertraining: Schnitt und Reset

Die ersten Wochen des Wintertrainings sind so etwas wie ein Reset. Man tut einfach so, als wär man eine ganze Weile nicht gefahren und hält sich an gewisse Grundregeln, die den Einstieg erleichtern. Du schaltest den Leistungsbegrenzer ein: Der Puls bleibt im Grundlagenausdauerbereich eins, 60 bis 75 Prozent der maximalen Herzfrequenz, Man benutzt nur das kleine Kettenblatt, um die Trittfrequenz hochzuhalten und die Muskeln bestmöglich mit Sauerstoff zu versorgen. So wie vor fünf Jahren, als ich erstmals gezielt in das Wintertraining eingestiegen bin. Es ist gezieltes Runterkommen aus der Saison, um - gezielt und diszipliniert -  möglichst viel der vorhandenen Grundlage zu konservieren, um im Frühjahr drauf aufzubauen.

Zurück zum "Runden Tritt"

Und ich denke mir so, wär schön, da heute mal mit meinen Anschauungsobjekten Pierre und Linda drüber zu quatschen, und wie sie das empfinden.  Aber die beiden haben heute wohl etwas Besseres vor. Jedenfalls sind sie nicht da. 

Also lass ich die Tour mal auf mich zu kommen, heute in der Cappuccino-Gruppe. Aber ob nun Espresso-Gruppe oder Cappuccino-Gruppe, im Mittelpunkt der dritten Ausfahrt steht das Thema Trittfrequenz. Idealerweise sollte sie zwischen 80 und 100 liegen. Zwischendurch werden jedoch ein paar "Trittfrequenz-Sprints" eingelegt. Das Tempo bleibt gleich, man schaltet zwei Gänge runter und erhöht so die Frequenz auf circa 110 bis 120. 

Das geht gegen den Instinkt, hat aber zur Folge, dass man anschließend automatisch eine höhere Frequenz tritt. Es geht darum, wieder einen "runden Tritt" zu bekommen, ganz bewusst die Kurbel und die Füße etwas schneller kreisen lassen.

Unvergesslich, unbezahlbar

Es geht raus nach Nörvenich, alles ganz entspannt, es gibt genug Gelegenheiten für kleine Gespräche. Vor allem eines bleibt mir in Erinnerung, das mit Evelyn. Sie war im letzten Jahr erstmals dabei, nachdem im Jahr zuvor ihr Mann Rudolf und ihre Tochter Michaela das Projekt mitgemacht hatten. Michaela und Rudolf werden im nächsten Jahr die Mecklenburger Seenrunde fahren. Eine wunderschöne Sache für Vater und Tochter, wie Evelyn meint.

Und ich kann ihr da nur zustimmen, denn als ich 2016 diese Tour fuhr, entschloss mein Vater, spontan, mich zu begleiten. Obwohl er noch nicht lange Rad fuhr, schon gar keine langen Distanzen und erst recht nicht auf dem Rennrad. Er wollte gerne dabei sein – auch weil er sich Sorgen wegen meiner Narkolepsie machte. Denn das war ja die Herausforderung, die ich suchte.

Eine der schönsten Erfahrungen meines Lebens

Rennrad Wintertraining Mecklenburger Seenrunde
Zieldurchfahrt mit Papa, nach 14 Stunden im Sattel

Ich wusste, dass ich die Grundlage für 300 Kilometer habe, aber schaffe ich es auch, ohne einzuschlafen? Und wenn nicht, was dann? Für den Fall wollte mein Vater da sein – und das fand ich unglaublich schön. Er fuhr die ersten und die letzten 40 Kilometer mit mir mit. Und auch wenn ich da nicht mein Tempo machen konnte, das war egal, es ging um etwas anderes. Darum, es gemeinsam zu bewältigen. Und das Gefühl, mit ihm zusammen über die Ziellinie zu fahren, war eine der schönsten Erfahrungen meines Lebens, ebenso wie das gemeinsame alkoholfreie Bier im Zielbereich. Insofern kann ich nachvollziehen, wie diese 300-Kilometer-Runde wohl für Michaela und ihren Vater werden wird – ein unvergessliches, unvergleichliches und unbezahlbares Erlebnis, das ihnen niemand mehr nehmen kann.

"Nicht alle Helden tragen Gelb"

Um es richtig pathetisch zu formulieren: Von "0 auf 60" wird eine weitere schöne Geschichte in das Leben seiner Teilnehmer schreiben, die einen Satz unterstreichen wird, den Peter so gerne sagt: "Nicht alle Helden tragen Gelb" Die Grand Tours, der Giro, die Tour und die Vuelta, machen Profis unsterblich. Doch wie jeder Sport bietet auch der Radsport den vermeintlich unbedeutenden Hobbyfahrern die ganz großen Momente. Dafür schuften wir den Winter durch und dafür lieben wir das Radfahren.