· 

Tobis Radblog: Wintertraining "Von 0 auf 60" Saison 2018/19, Ausfahrt über die Allrather Kippe, 18. November 2018

Die Legende von der Vollrather Höhe

Kälte und Kiffer

Rennrad Wintertraining
Kleiner Schock am Morgen

Ich schlafe bei offenem Fenster, das ganze Jahr. Somit ist das Aufwachen irgendwie auch der erste Kontakt mit der Außenwelt. Sie lässt schon mal ihr Lüftchen in meine Sphären wehen. Und dies Lüftchen ist – schreiben wir es, wie es ist – saukalt. Das war mir in der Nacht trotz gelegentlichen Wachwerdens noch nicht so bewusst geworden. Zum einen wohl, weil ich nicht unter der Decke hervor musste, zum anderen trifft auch meinen Nachbarn die Schuld. Der ist leidenschaftlicher Nachtmensch und Kiffer. Und so zieht zwei bis dreimal pro Nacht eine würzige Dunstwolke in mein Schlafzimmer und trübt die Wahrnehmung. Und zurzeit raucht er ein äußerst würziges Kraut. Als aber um halb acht der Wecker klingelt, schlummert mein Kiffernachbar bereits selig und die Luft ist voll klarer Ansage: Zieh Dich warm an. Das Thermometer sagt minus ein Grad. Also wenig. Das war gestern Abend so nicht abgesprochen. Ich muss meine komplette Garderobe umschmeißen. Und es wird wieder ein Vorteil deutlich, wenn man im Winter regelmäßig mit einer Gruppe trainiert. Würde niemand irgendwo auf mich warten, würde ich mit ziemlicher Sicherheit auch nirgendwohin gehen, erst recht nicht fahren, schon gar nicht mit dem Rad, und schon gar erst recht nicht dreieinhalb Stunden.

Eine andere Art des Teambuildings

Rennrad Wintertraining
Auf dem Weg zur Kippe

Darüber herrscht am Treffpunkt Konsens. Heißt, wir sind uns alle was schuldig. Kälte: Auch eine Art von Teambuilding. Und sie macht wach, selbst mich. Und so läuft das mit der Zweierreihe in der Espressogruppe schon wesentlich geschmeidiger als letzte Woche. Alle fahren schön nah beieinander, vielleicht weil die Illusion von etwas Wärme alle etwas zueinander zieht. Es bleibt eine Illusion.

 

Das Ziel ist in mancher Hinsicht konträr dem letzter Woche. Am Sonntag vor einer Woche mag sich mancher gewundert haben, als er vor dem riesigen Loch namens Hambacher Tagebau stand: Wo ist eigentlich das Zeug hin, was die Bagger da rausgeholt haben. 

Rennrad Wintertraining
Fahrt in Richtung Energie-Knotenpunkt (im Hintergrund links)

Ist ja eine ganze Menge, muss ja irgendwo bleiben.  Das, was an Braunkohle da rausgeholt wird, wird zu 90 Prozent verbrannt, und zwar in Kraftwerken zur Stromerzeugung. Der Rest wird zum Teil abtransportiert und auf einen großen Haufen geworfen. Daraus baut der Tagebaubesitzer dann Naherholungsgebiete, um Fußgängern neue Wege zu eröffnen, und Berge, um Radfahrer zu ärgern. Wer das Loch in Hambach kennt, weiß, dass das groß ist. Und dass man nach Entfernen der Braunkohle noch genug übrighat, um die Landschaft um einen Berg reicher zu machen. So ein Berg ist die Vollrather Höhe, auch Allrather Kippe genannt. So eine Allrather Kippe sieht nicht so spektakulär aus wie ein Alpenpass, ist auch nicht so hoch (dafür müsste das Loch in Hambach, Garzweiler oder sonstwo wohl auch sehr viel größer sein). Sie lässt die Natürlichkeit eines Berges vermissen, sie ist einfach da und fällt auf, weil drum herum einfach alles flach ist. Trotzdem ist es nett gemacht. Mit Bäumen und Wegen und so. Wenn man drauf unterwegs ist, denkt man schon, es wär alles natürlich gewachsen. Abgesehen von den gefühlt 300 Windrädern. Aber immerhin: Auf dem Nachlass fossiler Energie regiert nun die nachhaltige. 

Nach dem Loch kommt der Berg

Der nächste Punkt ist: letzte Woche sind wir um das Loch rumgefahren, beziehungsweise dran lang, sonst wäre es ein bisschen zu lang geworden. Um die Allrather Kippe könnte man auch rumfahren, die Strecke wäre auch gar nicht so lang. Das möchte Trainer Peter Zaun aber nicht. Er möchte gerne, dass wir drüberfahren. Wenn sich die Leute schon die Mühe machen, in den flachen Kölner Westen einen Berg zu bauen, dann muss man den als Radfahrer nutzen. So weit ich weiß, entstammt die Vollrather Höhe nicht dem Tagebau Hambach, sondern Frimmersdorf, beziehungsweise Garzweiler. Aber das Prinzip stimmt: Das aus dem Loch landet auf dem Berg.

 

 

Und noch eine Sache ist anders: Die Trittfrequenz. Im Allgemeinen geht es immer noch darum, sie möglichst hochzuhalten, das Training wird aber um eine Komponente reicher. Es geht um Kraftausdauer. Da bieten sich moderate, kurze Steigungen wie der Weg auf die Allrather Kippe, an. Für die Kraftausdauer hält man die Trittfrequenz möglich niedrig, dafür tritt man – wie der erste Teil des Namens sagt – mit mehr Kraft. Und das über einen längeren Zeitraum – Stichwort: Ausdauer. Die Herzfrequenz geht dafür etwas aus der Komfortzone heraus, aber nicht zu sehr, in den GA2-Bereich, so um die 80 Prozent der maximalen Herzfrequenz. 

Berge: Spaß oder Hass?

Rennrad Wintertraining
Oben: Ab nach unten

Es geht also in einen neuen Trainingsbereich und bereitet die Gruppe langsam auf das Bergische Land vor. Da geht es öfter mal länger bergauf, allerdings von der Natur so gewollt. Das hat zur Folge, dass die Hügel im Bergischen Land nicht so eindeutig aus der Ferne auszumachen sind, wie die Allrather Kippe. Wenn man die Kippe hochfahren will, sieht man sie schon lange bevor man an deren Fuß ankommt.

 

Es herrscht als mehr oder weniger große Freude im Team. Ich höre von mancher Seite, dass dieses Bergauf-Fahren jetzt nicht sein muss. Andererseits – wem bis jetzt nicht warm geworden ist, hat jetzt die Chance. Und Unwillen bedeutet nicht Unfähigkeit. Ob nun mit mentalem Spaßbegrenzer oder ohne, die Aufgabe wird von allen gut gemeistert. Es geht hoch, drüber und auf der anderen Seite wieder runter. Dort hat Guide Jürgen Kosmala eine kleine Überraschung. Es geht nicht etwa weiter gerade aus, es geht zurück nach oben, drüber und wieder runter. Die Begeisterung erkennt erste Grenzen. Auf der Mitte der zweiten Abfahrt geht es rechts ab, Richtung  Heimat. Das Gröbste ist geschafft, über die Hälfte der 70 Kilometer langen Strecke zurückgelegt. 

Das Gröbste geschafft: Auf der Kippe

Liebe Guides: Chapeau!

Rennrad Wintertraining
Dank und Respekt: Guide Jürgen K.

Auf den letzten 15 Kilometern zeigen sich erneut die Grenzen der Konzentrationsfähigkeit, Jürgen mahnt noch einmal zu Aufmerksamkeit – dennoch reißen wie letzte Woche kleinere Lücken, es werden weniger Handzeichen gegeben. Auch ich bin an meiner mentalen Belastungsgrenze angekommen – die Augen möchten sich schließen und längere Zeit geschlossen bleiben. Zwar halt ich sie offen, aber die letzten Kilometer sind reine, fiese Kopfsache. Das hat seinen Grund. Erstmals bin ich aufgrund eines Krankheitsfalles als eine Art Ersatzguide eingesprungen. Meine Aufgabe besteht darin, das Schlusslicht zu bilden, das Ende des Feldes im Blick zu behalten, einzugreifen, wenn Lücken reißen. Das ist speziell bei den Anstiegen und den Abfahrten ziemlich anstrengend. Ich bin es gewohnt zu machen, was ich will (im Rahmen der Gruppe), die Zurückhaltung fällt gerade bei Abfahrten ziemlich schwer. Einige Teilnehmer trauen sich verständlicherweise noch nicht, die Abfahrten voll zu nehmen. Und ich versuche, der Verantwortung gerecht zu werden, und bleibe eisern hinten.

Nach dieser Erfahrung ist es mal an der Zeit, den Guides hier meine Hochachtung und meinen Respekt zu zollen. Der Job, die Truppe zusammen zu halten, sollte nicht unterschätzt werden. Aber das habe ich bislang offenbar getan. An dieser Stelle also: Danke, Peter, Inge, Bilgin, Jürgen K. und Jürgen Z. Ihr macht einen Superjob, toll, dass wir uns so auf euch verlassen können und dürfen.

Außerdem gute Besserung und beste Grüße an Jürgen Zeiler, hoffentlich bis nächste Woche.

 

Und noch einmal herzlichen Glückwunsch an Evelyn und danke für die reichhaltige Kohlenhydratversorgung am Ende der Tour!

Mensch Der Woche: Der Guide

Rennrad Wintertraining
Stellvertretend für alle: Peter Zaun