Eisern der Kälte trotzen
Verschlafener Beginn
Wow, Sonntagmorgen und kein verdammter Regen. Im Gegenteil: Fantastischer Sonnenschein. Okay, es ist saukalt, unter Null, lass ich mich gerne von der Sonne drüber hinwegtäuschen. Am Treffpunkt finden um 09:30 Uhr wesentlich mehr Leute als vor einer Woche zusammen. Ich hätte es beinahe nicht geschafft. Zwar hat mein Wecker wie befohlen um 07:30 Uhr geklingelt, ist aber nur in den äußersten Rand meines Bewusstseins eingedrungen.
Betriebsausflug der bösen Absichten?

Als ich hochschrecke, ist es zehn vor neun. Und Stress am Sonntagmorgen kann ich überhaupt nicht leiden. Unter normalen Umständen würde ich absagen und alles in Ruhe angehen, aber die Sonne treibt mich an. Schnell einen kalten Nescafé, in die Klamotten und ab – nur zwei Minuten zu spät bin ich da. Und es geht direkt los in Richtung Nörvenich. War die Motivation letzte Woche am unteren Ende der Skala, so ist sie heute weitaus höher zu finden, bei mir ganz weit oben, bei einigen verhindert die Kälte Topwerte. Es ist auch durchaus gewöhnungsbedürftig, bei diesen Bedingungen zu fahren. Die Hände werden nach einer Weile warm, die Füße eher selten bis gar nicht – der Wind beißt im Gesicht, da helfen Vaseline, Schlauchtücher oder Skimasken, die alles außer den Augen bedecken. Ängstliche Mitbürger könnten diese Ausfahrt für einen Betriebsausflug der IRA halten. Gegenseitig können wir uns fast nur über das Arbeitsgerät oder den Helm erkennen, denn die meisten haben ihre Augen unter dunklen oder verspiegelten Sonnenbrillen verborgen. Die, die es nicht tun, bereuen es schnell. Der Himmel ist klar und strahlend blau, die Sonne blendet. Salz in der Trinkflasche soll erstmal verhindern, dass das Getränk zum Eis wird (wovon man im Sommer manchmal träumt). Doch das ist kein Allheilmittel. Nach circa einer Stunde kommt es zum ersten unplanmäßigen Stopp, da die ersten Flaschen so zugefroren sind, dass sie sich während der Fahrt nicht mehr ohne weiteres öffnen lassen. Früher oder später sollte man die Flasche irgendwo in Körpernähe lagern.
Weil's geil ist

In der Gruppe ist ganz schön Zug drin, man kann spüren, wie die Sonne Energie liefert und die körpereigenen Solarzellen in Gang setzt – vielleicht ist es allerdings auch nur der Versuch der Kälte etwas entgegen zu setzen. Was auch immer, es läuft und macht Spaß, und man muss es sich nicht erst schön singen, wie in der letzten Woche. Es wird munter geplaudert, also kann die Anstrengung nicht all zu hoch sein. Das ändert sich einige Kilometer später. Aufgrund des gebietsweise herrschenden Mangels an Bergen, Hügeln und Steigungen im Kölner Westen, sagt Trainer Peter Zaun ein vier bis fünf Kilometer langes Intervall im Grundlagenausdauerbereich zwei (ca. 75 bis 85 Prozent der maximalen Herzfrequenz) an. Oder anders gesagt: Heizen in der Ebene. Oder auch: es vier bis fünf Kilometer mal (fast) richtig krachen zu lassen. Oder Spaß haben. Wie auch Peter es unverhohlen zugibt: Wir machen das GA2-Intervall aus diesen und jenen trainingstechnischen Gründen. Und weil's geil ist.
Kurzfristig wenigstens von Innen warm

Die Verhältnisse lassen ein Tempo von konstant knapp über 30 km/h zu. Dieses eine Intervall muss auf den knapp 80 Kilometern heute reichen. Denn die Kälte fordert nicht nur gefühlt ihren Tribut. Der Puls kann bis zu zehn Schlägen höher sein, da der Körper mehr Energie benötigt, um sich auf Temperatur zu halten. Das Intervall wärmt alle kurz auf, doch leider ist die Dauer begrenzt. Halten wir uns also an die Sonne, die von wärmeren Tagen erzählt, wunderbar anzusehen durch die blattlosen Baumwipfel scheint und sich in den vereinzelten zugefrorenen Pfützen am Straßenrand spiegelt. Diese Überbleibsel der Niederschläge der letzten Tage sind zum Glück die einzigen Gefahren und Glatteisfallen. Als der Frost kam, war es zum Glück im Großen und Ganzen recht trocken. Waldwege, die möglicherweise nicht vollständige abtrocknen konnten, meiden die Guides.
Harte Anforderungen an den Körper

Nach zwei Dritteln der Strecke machen sich die Anforderungen, die diese Tour – in Verbindung mit der Kälte – an den Körper stellt, bemerkbar. Die Gruppe läuft nicht mehr so kompakt, zieht sich nach Kurven häufig auseinander, der Zug der ersten Hälfte ist raus, die Konzentration leidet. Alles in allem aber immer noch besser als letzte Woche, wo einem die penetrante Beharrlichkeit des Regens die Lebens- und Leistungsgeister aus dem Körper prügeln wollte. Und auch wesentlich besser, als die Situation, in der zeitgleich 250 Menschen in Goose Bay, Kanada stecken. Die sitzen nämlich bei minus 30 Grad in einer Boeing 777 und dürfen nach einer Notlandung nicht raus, weil es da keinen Zoll gibt. Ohne Heizung, ohne Essen. Und als sie dann weiter fliegen dürfen, geht’s gar nicht weiter, sondern Zurück zum Ausgangspunkt. So wie wir, aber wesentlich unangenehmer. Wir sind in Bewegung und haben uns das ausgesucht. Und so kommen wir erschöpft, aber doch auch glücklich – und das schieb ich auf die Sonne, die uns die ganze Zeit begleitet hat – zum Treffpunkt zurück. Im Grunde eine Ausfahrt ohne besondere Vorkommnisse, aber unter harten Bedingungen, die uns – ähnlich wie letzte Woche – zeigt, was wir bewältigen können, welchen Bedingungen unser Körper trotzen kann. Die Grundlage ist da, und sie wartet auf die nächsten Herausforderungen. Ich glaube, wir können ihnen beruhigt und freudig entgegen sehen.