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Tobis Radblog: Wintertraining "Von 0 auf 60" Saison 2018/19 - Kurz und knackig

Der Sturm heult, die Bahn steht, die Welt geht unter. lasst uns Rad fahren

Wie heftig wird's?

Es war lange genug abzusehen, man brauchte sich keinen Illusionen hingeben. Die Wetterprognosen gingen anhaltend in die gleiche Richtung, die App zeigte seit Tagen Wolken, Regentropfen und eine rote Wetterfahne, oder auch eine Unwetterwarnung. Offen blieb die Frage nach den Details: Wie dunkel werden die Wolken, wie doll der Regen, wie brutal der Wind, Böen mit 70, 80 oder 90 km/h?

Aufkommender Sturm am frühen Sonntagmorgen hat irgendwie immer was von Apokalypse, vor allem, wenn man gerade Blues hört und in der sechsten Staffel von "Supernatural" steckt. Es ist menschenleer, der Wind weht die Überbleibsel des Karnevalmülls, Teile alter Zeitungen und abgerissener Plakate über den Weg, in der Ferne jault ein Hund, der Himmel schein in der Dämmerung steckengeblieben zu sein, die Wolken hängen tief und lassen gleich einen Dämon herabfahren, der mir mein Fahrrad klauen will. Vielleicht bin ich auch einfach noch nicht richtig wach. Ich schwing mich aufs Rad und fahr los, zur 100 Meter entfernten S-Bahnstation, Red Bull im Regen. Heute ist nicht der Tag, um mit dem Rad zum 20 km entfernten Treffpunkt zu fahren, nur um durchnässt zu sein, bevor man überhaupt auf der geplanten Strecke ist. Eigentlich ist heute nicht der Tag, um überhaupt IRGENDWO Fahrrad zu fahren, außer zur Bahn,  in die Kneipe oder zur Kirche. Aber ich werde erwartet, und ich erwarte es von mir. Warum ich das tue, wird mir verborgen bleiben. Idiotie oder Apokalypse, es ist halt so. Ich gebe mich in der Bahn weiter meinen Weltuntergangsfantasien hin und stelle am Treffpunkt fest, dass es gar nicht mehr regnet, der Himmel sich aus seiner Starre befreit hat, und es tatsächlich so aussieht als sei Tag. Über die Hälfte der Gruppe ist trotzdem zuhause geblieben. Wer will es ihnen vorwerfen? Es ist die wasweißichwievielte Regenausfahrt im Wintertraining 18/19, es sind mehr als in den Jahren zuvor jedenfalls. Denn auch wenn es jetzt gerade trocken ist und sich sogar die Sonne erahnen lässt – es wird nicht so bleiben.

Aufgrund der absehbaren Wetterverhältnisse hat sich Trainer Peter Zaun etwas Entsprechendes einfallen lassen. „Kurz und knackig“ heißt das im zaunschen Fachjargon und bezeichnet meist eine Strecke, der man auch bei strahlendem Sonnenschein mit Skepsis begegnen sollte. Kurz heißt in diesem Fall 47 Kilometer, knackig bedeutet, dass zwischen Start und Ziel 800 Höhenmeter liegen. Das ist wie man so schön sagt relativ, also in Beziehung gesetzt, denn die wenigsten Höhenmeter befinden sich auf den ersten 15 und den letzten fünf Kilometer. Fünf Anstiege liegen dazwischen, von den Prozenten auch gern mal zweistellig, hinzu kommt der Aspekt Fahrtechnik. Zwei der Anstiege verlaufen über sehr schmale Wege, um die sich die Straßenbaubehörde schon lange nicht gekümmert hat. Wahrscheinlich, weil ihr nicht bewusst ist, dass es sie gibt. Man biegt in die entsprechenden "Straßen" nur ein, wenn man sie kennt oder da wohnt. Nebeneinander fahren geht nicht – auch ohne Gegenverkehr. Die Chance, dass solcher kommt, liegt im Gegensatz zur Steigung im einstelligen Prozentbereich. 

Hey, hey, ich bin der apokalyptische Reiter...

Der erste Anstieg, beziehungsweise Intervall im GA-2-Bereich, führt aber noch über eine ganz normale Straße, es ist die Strecke zum Trostwald, der erste Anstieg vom Radrennen „Rund um Köln“. Passend dazu geht der Regen wieder los und er hat nicht vor, halbe Sachen zu machen, und auch der Wind pfeift schön deutlich hörbar durch die Baumkronen

Rennrad Wintertraining
Dem Hunger sein Pferd

Die einzigen Menschen, die man unterwegs trifft (abgesehen von Autofahrern) sind Menschen, die es – aus welchen Gründen auch immer – nicht vermeiden konnten, das Haus zu verlassen, also wahrscheinlich Kirche, Frühschoppen oder beides. Gut, dass wir zu neunt sind. Wären wir nur vier, würden sie uns wahrscheinlich für die apokalyptischen Reiter halten – dem Gefühl in meinem Magen nach, wäre ich der Hunger. Der reitet auf einem schwarzen Pferd, passt also auch farblich. Verdammtes Nüchterntraining.  Keine Ahnung, wer von den anderen Krieg, Pest oder Tod ist – ich will es mir mit niemandem verscherzen. Fazit nach dem ersten Intervall: schon anstrengend, für Anfang März ziemlich schnell, ich bin schon mal gefühlt genauso schnell da hoch, habe dabei allerdings meinen GA-2-Bereich locker gesprengt, also bin so schnell gefahren wie es ging, heute nur so schnell wie es die GA-2-Grenze erlaubt hat. Das heißt konkret: Ich kann mit der Form zufrieden sein, ich muss mir keine Sorgen um den Rest der Strecke machen, ich muss aber aufpassen, denn ich glaube ich befinde mich an einem Grat, an dem das sehr schnell umschlagen kann. Ich vergesse bei dem Spaß, den mir das Radfahren macht, schon mal den Zeitpunkt, ab dem es zu viel wird. Mein rudimentärer Trainingsplan soll dabei helfen. Er scheint sich auszuzahlen. Trotzdem fällt es mir schwer Einheiten nach Sinn und nicht nach Spaß zu fahren. Deswegen ist mein Trainingsplan auch nur rudimentär, er hat sich nach wie vor dem Spaß unterzuordnen. Ich krieg schließlich kein Geld dafür, dass mir der Wind gerade die durchgeregnete Mütze vom Kopf blasen würde, hätte ich keinen Helm auf. Dass ich hier klitschnass auf dem Rad sitze und regelmäßig Windböen mit dem Vorderrad abfange, geschieht ausschließlich zur persönlichen Erheiterung, zur Bereicherung meines Privatlebens und zum Zwecke eines erfolgreichen Austarierens der Work-Life-Balance.  Das hier soll bloß nicht in Stress, Unannehmlichkeit oder Unausgeglichenheit enden. Als ich später auf dem Heimweg unter sehr, sehr großer Anstrengung (also über GA2) mit flotten 13 km/h über die Deutzer Brücke fahre, frage ich mich schon, ob ich das richtig angehe. Als ich noch später beim Bäcker ein Stück Eierlikörcremetorte kaufe, lautet die Antwort allerdings schon wieder "ja". 

Durchaus herausfordernd

Kurz nach dem Trostwald folgte eine knapp anderthalb Kilometer lange Abfahrt mit knapp 60 km/h auf regennasser Straße, die ihren Charme durch ein integriertes Graupelgesichtspeeling erst richtig entfaltet. Ich sehe nicht viel, orientiere mich an Farben, das tiefe Grau muss die Straße sein. Kurz darauf folgt der erste Anstieg der Kategorie "muss man kennen, um da abzubiegen", wir schlängeln uns einer nach dem anderen hoch. 

Ein ein Meter breiter, mit Wohlwollen als asphaltiert bezeichneter, mit Zweigen, Schlaglöchern und Bodenwellen übersäter Feldweg macht einen Anstieg im zweistelligen Prozentbereich erst so richtig … ähm … herausfordernd. Und ich rede mir meine Leistung schön, indem ich hier die Behauptung aufstelle: Wer an diesem Tag hier schneller als ich hochfährt und unterhalb seines GA-2-Bereich bleibt, wird dafür bezahlt. Irgendwo rechts am Rande des Weges steht ein über hundert Jahre alter Steinaltar samt Marienstatue, und ich denk mir: Wer den Kram hier damals hoch gebracht hat, hat das bei schönem Wetter getan mit einer gehörigen Portion Angst vor der sich mittlerweile zum dritten Male am Himmel abzeichnenden Apokalypse.

 

Wenig später treffen wir zum ersten und einzigen Mal Rennradfahrer an diesem Tag. Sie haben sich an einer überdachten Bushaltestelle auf die Bank gepflanzt, schauen uns an, und versichern uns, wir würden in Richtung Sonne fahren. Sie belieben zu scherzen, diese Weicheier. Gut, man muss ihnen zu Gute halten, dass mittlerweile auch die Deutsche Bahn ihren Verkehr eingestellt hat. Auch Weicheier. 

Zweige, Schlaglöcher, Bodenwellen und Moos

Der Dritte Anstieg ist exakt die gleiche Kategorie wie der zweite, nur dass sich zu Zweigen, Schlaglöchern und Bodenwellen auch noch Moos gesellt. Zunächst geht es durch den Wald, dann über freies Feld, recht windgeschützt durch einige Baumgruppen in der Nähe, durch die der Wind mittlerweile in einer so beeindruckenden Geschwindigkeit rauscht, dass man denkt, da kommt gleich ein LKW um die Ecke. Ich esse ausnahmsweise, rein prophylaktisch. Falls ich doch einer der apokalyptischen Vier bin, darf ich den Anschluss nicht verlieren. 

Rennrad Wintertraining
Trainer sagt: Besser die Abkürzung nehmen

Der vierte Anstieg nach Bärbroich gleicht wieder dem ersten, ist also im Verglich zu den beiden andern unspektakulär, außer von der Steigung her. Mittlerweile ist der Wind so stark geworden, dass Peter die Ausfahrt abkürzt und den letzten Berg cancelt. Es wäre wieder ein etwas unbequemerer Weg gewesen, und als wir an der Abbiegung vorbeifahren, stellt sich heraus, dass der Weg gesperrt ist. Abkürzen ist wohl doch eine kluge Entscheidung. Zurück am Treffpunkt darf man sich mal kurz auf die Schulter klopfen. Man muss auch mal den Bedingungen trotzen, in diesem Winter öfter als in den Jahren zuvor. Nur noch zurück nach Köln, der Schmerz in den Beinen lässt nach und ich glaub, die Apokalypse kommt noch nicht. Es liegen ja auch noch sieben Staffeln "Supernatural" vor mir, es gibt noch viel Blues zu hören. Und Eierlikörcremetorte.

Spezialität des Tages: Eierlikörcremetorte

Zu spät fotografiert