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Tobis Radblog: Wintertraining "Von 0 auf 60" Saison 2018/19 - Trainingslager 06. - 14. April - Teil 2

Hügel, Defekt und Rock'n'Roll

Ich werde doch nicht etwa krank?

Die letzten Kilometer des Sonntags sind mir ziemlich schwer gefallen, die Kraft ist futsch. Woran liegt’s? Die Gedanken lassen mich nicht mehr los, was tun? Ich gehe zeitig ins Bett, schlafe aber noch schlechter als in der Nacht zuvor. Und so sitze ich Montag Kaffee trinkend auf der Couch mit dem ziemlich sicheren Gefühl, dass ich die anstehende Ausfahrt nicht schaffen werde. Nur bin ich nicht sicher, ist das ein Infekt oder ein ganz normaler schlechter Narkolepsie-Tag?

Rennrad Wintertraining Trainingslager
Trainingslager: Es geht munter weiter

Hoffen auf Besserung

Die Uhr rast dem Abfahrtszeitpunkt entgegen, und als es so weit ist, bin ich definitiv nicht bei hundert Prozent, auch nicht bei 80 oder 90, vielleicht 50. Trotzdem mach ich mich auf den Weg zum Treffpunkt, und mir wird klar, ich hab nur einen schlechten Narkolepsietag: Die Tour sollte ich auf jeden Fall auslassen.

Ich kann es nicht in Worte fassen, es ist mehr so ein unbefriedigendes Gefühl: Das Rad und ich, wir passen heute nicht wirklich zueinander, wir werden nicht warm miteinander, ich bin müde, ich weiß, ich könnte auf einer langen Tour beim Fahren einschlafen. Immerhin kann ich allen persönlich mitteilen, dass ich nicht mitkomme. Und wenn ich mich auf eins im Team verlassen kann: Verständnis und Empathie. Bei mir hingegen: Neid. Ich will, aber kann nicht. Wieder zuhause weiß ich: Die Bewegung tat gut, aber diese 40 Kilometer, langsames Tempo, flache Strecke, waren genug. Bleibt zu hoffen, dass es Morgen besser wird.

Und das wird es. Am nächsten Morgen erfahre ich, was mir entgangen ist: Ein spontaner und dermaßen heftiger Wolkenbruch, dass das Wasser über die Straße lief, alle innerhalb einer halben Minute durchnässt waren und deshalb die Runde abgekürzt wurde. Statt 78 Kilometern wurden es immerhin 70  - auch nicht schlecht. Ich hingegen habe wohl alles richtig gemacht. 40 kompensatorische Kilometer, warmes Wohnzimmer, ganz viel Schlaf und wieder voll bereit.

Diesmal für 80 kompensatorische Kilometer: 20 hin, dann die 40-Kilometer-Runde vom Samstag nochmal, Eis, dann 20 zurück, ich bin zurück.

Ein Tag mit Tradition

Trainingstag fünf, der Mittwoch, hat Tradition. Am Tag nach dem Ruhetag heißt es Höhenmeter fressen. Man macht möglicherweise an den nächsten beiden Tagen genauso viele oder noch mehr, aber nicht so konzentriert und schnell. Rampen stehen im Mittelpunkt, sogenannte Kniebrecher im zweistelligen Prozentbereich, der steilste Hügel hat bis zu 22 Prozent. Aber nicht bevor wir Inge Daniels, der guten Seele des Teams, ein anständiges Geburtstagsständchen gesungen haben. So viel Zeit muss sein.

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Bei allem Ehrgeiz: Geschenk und Ständchen für Inge müssen sein

Peter hat sich die Anstiege ganz genau ausgeguckt und dabei als Entschädigung eine wunderschöne Strecke kreiert. Immerhin gibt er uns zehn Kilometer zum Einrollen, aber dann geht es los. Über kleine, schmale Wirtschaftswege, zum Teil nur hintereinander befahrbar, geht es Meter für Meter bergauf, keine Hügel, sondern eher doof in der Gegend (und im Weg) rumstehende Wände. Zum Glück nicht lang, trotzdem enorm anstrengend und kraftaufwendig. Unglaublich tolle Aussichten bei strahlendem Sonnenschein belohnen die Mühen. Die federleichten gut trainierten Damen sprengen mit scheinbarer Leichtigkeit das Feld, während die Herren bei jeder Pedalumdrehung im kleinsten Gang jedes Kilo zu viel spüren. Ich verfluche Weingummi, Eis, Kuchen und weißes Mehl generell, denn das sind die Schuldigen dafür. Neben mir, der sich das alles so verantwortungsvoll maßlos in den Rachen schiebt, wobei: Als ich den Kuchen verfluchen will, denk ich eigentlich schon an das nächste Stück. Die Erdbeerkuchenzeit beginnt bald.

Vergnügungspark für Masochisten

Während ich also im Kuchenzwiespalt stecke, führt uns die Strecke durch solch weltbekannte bergische Metropolen wie Voiswinkel und Romaney, wo die ersten dieser Rampen auf dem Programm stehen. Es folgt die Romaneyer Höhe. Diese hätte durchaus Potenzial für die Garde der VISR (very impertinente steile Rampen), würde sie in Flandern liegen. Ein schönes abgekämpftes Profi-Peloton würde diesem Stück "A**** der Welt" angemessenen Glanz verleihen. So aber schleichen nur ein paar ambitionierte No-Names über die Prozente – und niemand nimmt Notiz von ihnen, außer dem Bauern, der da gerade sein Feld bestellt und uns eher verwunderte als bewundernde Blicke schenkt. Wenn überhaupt. Gleiches gilt für den schlecht asphaltierten, moosüberwucherten Trotzenburger Weg, ich habe das Gefühl in einem Erlebnispark für flandrisch verwurzelte Masochisten unterwegs zu sein. Das Gefühl bleibt noch einige Zeit, das liegt am Buchholzberg und dem folgenden Calenberger Weg. Einziger Trost: Keine Autos, wunderschöne Landschaft. Und die Sonne kommt raus. Wir kommen am "Wohlfühlpark" vorbei. Das muss ein Missverständnis sein. Und so steuert das Drama über den Anstieg Oeldorf seinem streckentechnischen Höhepunkt entgegen. Den dramatischen erreicht es allerdings schon hier. Ich komme bis dato eigentlich ziemlich gut die Hügel hoch, selbst wenn die steilen wehtun. Der Puls liegt dabei im unteren grünen Bereich  - sprich, ich muss meine Komfortzone eigentlich nicht verlassen, bisweilen, wenn die Prozente über einen längeren Zeitraum zweistellig bleiben und vor allem, wenn die erste Zahl eine "Zwei" ist.

Östlich von Köln, westlich von Kassel

Dann aber knackt es an so einer Stelle plötzlich in meinem Hinterrad und der Leerlauf streikt. Gut, wenn man einen Trainer wie Peter dabei hat, der auch ein hervorragender Fahrradmechaniker ist – er war ja schließlich lange genug Besitzer eines Fahrradladens. Er analysiert das Problem geschwind. Aber nicht nur das, er kann es lösen. Ich habe die Tour vor meinem geistigen Auge bereits beendet und gebe mich einem unangenehmen Szenario hin: Angenommen ich wäre alleine unterwegs: Wie würde ich jemandem erklären können, wo zur Hölle ich bin. Östlich von Köln, westlich von Kassel, nördlich von Bonn und südlich von Wuppertal. Im Bergischen irgendwo, an einem Berg, schmale Straße, der letzte mir bekannte passierte Ort: Offermannsheide. Hab ich auf einem Schild gelesen. Wo genau das liegt? Östlich von Köln, westlich von…

Verflixte circa 66,66666666666667 Prozent

Das Problem ist jedenfalls eine gebrochene Feder im Leerlauf, deswegen klappt eine von drei Sperrklinken nicht mehr ein. Peter entfernt die gebrochene Feder und die Sperrklinke, und der Leerlauf funktioniert wieder. Das Problem: Wenn ich nun trete bietet das Hinterrad nur noch zwei Drittel (oder circa 66,66666666666667 Prozent) des nötigen Widerstandes. Das ist kein Problem, wenn man fröhlich so vor sich hin fährt. Brutale Kraftaufwendung bei einem Antritt den Berg hoch funktioniert nicht mehr so gut, da kann der Gang schon mal „durchrutschen“. Ist blöd, weil heute ja steile Rampen und Anstiege auf dem Programm stehen. 

Und ich werde feststellen, dass man unterschätzt wie kräftig man an einem steilen Berg antreten kann. Heroisch ausgedrückt: Ich habe so viel Kraft in den Beinen, dass circa 66,66666666666667 Prozent des Leerlaufwiderstandes für mich nicht reichen. Das stelle ich erstmals fest, als wir uns ausnahmsweise von hinten dem Freiluftaltar Ommerborn, dem streckentechnischen Höhepunkt, nähern. Im Umkehrschluss heißt das: Ich muss die letzten Hügel entspannt angehen. Schlimm, schlimm. So nähert sich die Tour relativ unspektakulär dem Ende, während die Damen weiterhin schwungvoll die Höhen erklimmen, und ich eine Superausrede habe. Und die muss funktionieren durch Lindlar hindurch, und noch weiter, bis zum Ziel, also noch gute 30 Kilometer. 

Gelungener Tag

Immerhin muss niemand auf mich warten. Auf der vorletzten Steigung rutscht das Hinterrad beim Antritt immer mal wieder durch. Nach Rücksprache mit Peter, beschließe ich die letzte steile Steigung auszulassen, und direkt zu Peter nach Hause durchzufahren. Die Strecke verkürzt sich dadurch kaum, nur die Höhenmeter. In Bärbroich angekommen, spricht sich die Hälfte der Gruppe dafür aus, den letzten Hügel weg zu lassen. Die Gruppe teilt sich. Ein fährt über den Hügel, die andere direkt ans Buffet. Denn am Anschluss an die Tour folgt die nächste Mittwochstradition, gemeinsam essen.Früher gern mal in einem Burger-Restaurant, seit letztem Jahr bei Peter und Inge im Garten, bei Grillen, Salat, Kuchen und so weiter. Für das leibliche Wohl ist ausreichend gesorgt, das Wetter ist so, dass wir alle gemütlich draußen sitzen. Schließlich packe ich sogar noch meine Gitarre aus und spiele ein paar traurige Weisen, und zum Abschluss noch ein überschwängliches "Rote Lippen soll man küssen", für Inge, war ich ihr noch schuldig. Gelungener Tag also trotz des Hinterrades.

Folglich also Song des Tages: